Der Mythos von der guten alten Zeit und der Realitätsschwund der Gegenwart

Ich sitze da, scrollend, müde vom Tag und noch müder vom Zustand der Welt, und dann spuckt mir der Algorithmus wieder so ein Video ins Gesicht. Sepiafarbene Gesichter, weichgezeichnete Stimmen, Pathos in Endlosschlaufe. Früher war alles besser. Früher wussten die Männer noch, dass sie Männer sind. Früher waren Frauen Frauen. Früher hatten Kinder noch Respekt. Früher gab es Ordnung. Früher gab es Werte. Früher, früher, früher. Als wäre früher ein Ort, an den man zurückkehren könnte wie an einen sauberen See, der nie industrialisiert wurde. Als wäre früher nicht auch voller Dreck gewesen, nur ohne Smartphone-Filter.

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Erwins letzte Barrikade: Die Anarchie der Streuobstwiese

Die Wiese öffnet sich vor uns wie ein Stück vergessene Welt. Hohe Gräser, knorrige Stämme, Schatten, die im Wind zittern. Hier treffe ich Erwin Buchstetter. Er ist 68 Jahre alt, seine Hände sind rau, seine Stimme zurückhaltend, fast vorsichtig. Über siebzig Apfelsorten wachsen in seinem Garten, jeder Baum eine Erinnerung, ein Widerstand, ein Stück gelebte Anarchie.

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Café Bij Monique – Ein Ort, der nicht vergessen werden will

Das Schild war absichtlich in Französisch gemalt. „Café Bij Monique“ – kein Lokalkolorit, keine Dialekt-Anbiederung. Weiß gestrichene Buchstaben auf einem alten, tiefblauen Hintergrund. Kratzig, schief, aber mit Absicht. Die meisten im Dorf fanden es befremdlich. Einige nannten es unhöflich. Aber für Monique war es notwendig. Eine kleine, leise Provokation in einem flämisch geprägten Landstrich, in dem man ihr bis heute das Französischsein nicht ganz verziehen hat.

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Welche Lehren ziehen wir aus der Corona-Pandemie? – Eine (un)endliche Aufarbeitung

Die Corona-Pandemie hat uns allen eine Lektion in Solidarität erteilt: Plötzlich ging es nicht mehr nur um individuelle Freiheiten, sondern um das Wohlergehen der gesamten Gesellschaft. Während sich die Mehrheit der Menschen in Deutschland – trotz Unannehmlichkeiten, Ängsten und wirtschaftlichen Einbußen – an Lockdowns, Maskenpflicht und Impfkampagnen hielt, trat eine lautstarke Minderheit auf den Plan, die laut „Diktatur!“ rief, sich bewusst nicht an Regeln hielt und bis heute an Falschinformationen festhält. Wer erinnert sich nicht an die Bilder von Massenprotesten, bei denen Seifenblasen in die Menge geblasen wurden, als handele es sich um eine fröhliche Gartenparty, während das Virus in den Krankenhäusern Opfer forderte?

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